Die Weichen auf Wandel stellen – Herausforderungen für die internationale Automobilbranche

Herausforderungen für die internationale Automobilbranche

Stimmen von Gewerkschaften, Arbeitnehmer*innen, Klimaschutzbewegung, Industrie

Vorwort

Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat die weltweite Autoindustrie Beschäftigungsverluste verkraften müssen: in der EU gingen bisher 150.000 Jobs verloren (Stand Februar 2021). Bei Nissan, Renault, Daimler, Continental, Bosch,

ZF und vielen anderen mussten Entlassungen und Stellenkürzungen vorgenommen werden: sowohl die Autobauer als auch die wichtige Zulieferindustrie sind betroffen. In der brasilianischen Autoindustrie haben währen der Pandemie 50 Prozent der Produktionskapazitäten brachgelegen. Ford kündigte das Ende der Produktion in Brasilien an. Auf der anderen Seite profitierten die Aktienbesitzer von Dividenden und Vermögenszuwächsen. Perspektivisch stehen weitere Umwälzungen für die Beschäftigten durch den Umstieg auf den Bau von Elektroautos an: Expertinnen gehen davon aus, dass bis zu einem Viertel der Stellen in der Autoindustrie wegfallen könnten, besonders in der Zulieferindustrie. Dies stellt die betroffenen Regionen vor besondere Herausforderungen. Bspw. arbeiten in der europäischen Autoindustrie 12 Millionen Menschen – direkt in der Produktion und in der Zulieferindustrie. Dieser Sektor erwirtschaftet 7 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts und spielt in vielen EU-Mitgliedstaaten eine bedeutende Rolle im verarbeitenden Gewerbe: 8,5 Prozent der Jobs im verarbeitenden Gewerbe der EU sind direkte Jobs in der Autoindustrie, für die Slowakei sind dies bspw. 15 Prozent, für Rumänien ebenfalls 15 Prozent, für Tschechien 13 Prozent, für Ungarn 12 Prozent, für Deutschland 11 Prozent, für Spanien 8 Prozent. 10 Prozent des serbischen Exports wird in der lokalen Autoindustrie erwirtschaftet. Es geht jedoch nicht nur um 12 Millionen Menschen, die direkt und indirekt von dieser Industrie leben, sondern um rund 30 Millionen Menschen in Europa, die an der Wirtschaftsleistung dieser Industrie partizipieren.

Die weltweite Autoproduktion ist seit Jahren von Überkapazitäten und immer wieder auftretenden Absatzkrisen gekennzeichnet, und nur die steigende Nachfrage nach Fahrzeugen auf dem chinesischen Markt und diverse Maßnahmen, um Kaufanreize zu schaffen, konnten diesbezüglich in den letzten Jahren die Nachfrage sichern. Die milliardenschwere Unterstützung einiger Regierungen während der COVID-19-Pandemie kam der Autoindustrie natürlich sehr gelegen. Dennoch stellt sich grundsätzlich die Frage, wie einerseits langfristig industrielle Produktionskapazitäten gesichert werden können, und andererseits der Kampf gegen den fortschreitenden Klimawandel im Verkehrssektor aufgenommen werden kann. Denn der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem seit Jahren die Treibhausgasemissionen ungebremst steigen. Jedoch: die Wende hin zur Elektromobilität, die sich auch im European Green Deal der Europäischen Kommission und der europäischen Batterieallianz widerspiegelt, kann zwar Einsparungen bei der Treibhausgasproduktion bringen, aber nicht in ausreichendem Maße, um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. Und auch nur, wenn kleine, effiziente Elektroautos produziert werden, die mit 100 Prozent erneuerbaren Strom fahren. Beides ist derzeit nicht der Fall und wird auch in den nächsten Jahren nicht der Fall sein, denn die Ausbauraten für erneuerbaren Strom sind weltweit viel zu gering, und der Trend zu großen, schweren Elektro-SUVs ist ungebrochen. Die Herstellung der notwendigen Lithium-Ionen-Batterien ist sehr energie- und ressourcenintensiv, erfordert die umweltschädliche, energieintensive Förderung von seltenen Erden und Rohstoffen wie Lithium, Nickel und Kobalt und verstärkt durch den Extraktivismus die Abhängigkeit des Globalen Südens von den Produktionskapazitäten im Globalen Norden.

Jedoch muss es vielmehr, im Sinne eines linken Green New Deal, um den Aufbau von Alternativen gehen: Elektromobilität muss im weiteren Kontext diskutiert werden und v.a. Dingen die Produktion von elektrisch betriebenen Schienenfahrzeugen und Fahrzeugen des ÖPNV umfassen. Öffentlicher Nah- und Fernverkehr müssen flächendeckend und erschwinglich ausgestaltet sein – überall auf der Welt muss so das „Recht auf Mobilität“ sichergesellt werden. Die Mobilitätswende ist ein Schlüsselkonflikt und ein zentrales „Einstiegsprojekt“ eines globalen linken Green New Deal. Durch den Aufbau alternativer Produktion könnten hunderttausende Arbeitsplätze weltweit geschaffen werden. Gleichzeitig könnten durch den massiven Ausbau des Schienenverkehrs und des ÖPNV lokale Jobs entstehen, die nicht von Verlagerungsbestrebungen der Industrie bedroht sein werden. Wie scharf der Gegensatz von Arbeit und Kapital ist, hat sich auch während der Pandemie gezeigt: viele Unternehmen in der Autoindustrie nutzten die Lage, um Druck auf die Beschäftigten auszuüben, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, Löhne zu senken, Entlassungen vorzunehmen und Produktion an billigere Standorte zu verlagern.

Ein Umbau der Autoindustrie zu einer ökologisch orientierten Mobilitätsindustrie kann nur gelingen, wenn er von umfangreicher gesellschaftlicher Partizipation getragen wird: eine öffentliche Beteiligung wäre mit einer erweiterten Mitbestimmung von Beschäftigten, Gewerkschaften, Umweltverbänden und der Bevölkerung zu verbinden, zum Beispiel in Form von regionalen Räten. Es wäre wichtig, an das Wissen der Beschäftigten in Form von Produzent*innen – und Gebrauchtwertstolz anzuknüpfen. Es braucht für die Autoindustrie einen „gerechten Übergang“ (just transition), um die bevorstehenden Herausforderungen des Strukturwandels durch Elektromobilität und den Aufbau einer ökologischen Mobilitätsindustrie bewältigen zu können. Wir brauchen eine grüne Revolution der Industrie bei gleichzeitigem Schutz der Beschäftigten.

In der vorliegenden Studie werden die Hindernisse und Potenziale für eine Transformation der Autoindustrie und einen Aufbau einer ökologischen Mobilitätsindustrie mit Gewerkschafter*innen, Klimaaktivist*innen und Vertreter*innen der Autoindustrie aus Brasilien, Serbien, Slowakei, Tschechien, Spanien, Frankreich und Italien diskutiert. Dabei spielten insbesondere die Position in der internationalen Wertschöpfungskette, der Einfluss der ausländischen Direktinvestitionen, die Struktur des lokalen Arbeitsmarktes und die Verhandlungsmacht der lokalen Gewerkschaften eine Rolle. Außerdem wird diskutiert, wie die Potenziale für einen Aufbau einer ökologischen Mobilitätsindustrie von lokalen Akteur*innen eingeschätzt werden.

Wir wünschen eine spannende Lektüre!

Wir danken der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Regionalbüro Brasilien und Cono Sur, São Paulo, die die Entstehung der Fallstudie für Brasilien ermöglicht hat.

Andreas Thomsen,

Büroleiter, Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

Manuela Kropp,

Projektmanagerin, Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel

 

Autor*innen

Frankreich

Samuel Klebaner

Italien

Matteo Gaddi

Spanien

Marc Andreu Acebal, Salvador Claros Ferret

Tschechische Republik und Slowakei

Patrik Gažo, Monika Martišková, Thomas S. J. Smith

Serbien

Darko Vesić, Tanja Vukša

Brasilien

Renato Boareto, David Shiling Tsai, André Luis Ferreira

 

Die vollständige Publikation steht zum Download zur Verfügung!

 

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