Arruada, Volksfest von Corroios (im portugiesischen Kreis Seixal), September 2023.
Arruada, Volksfest von Corroios (im portugiesischen Kreis Seixal), September 2023.Ana Mendes

„Das Leben der Menschen muss Vorrang vor Profiten haben“.

Andrea Peniche, Mariana Mortágua

Ein Gespräch mit Mariana Mortágua

Am 10. März werden in Portugal vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden. Der Präsident der Portugiesischen Republik hat die Regierung am 7. Dezember entlassen und das Parlament am 15. Januar aufgelöst. Das bedeutete das Ende der Regierung der Sozialistischen Partei, die am 30. Januar 2022 mit absoluter Mehrheit gewählt worden war. Die scheidende Regierung war nicht in der Lage, die Hauptprobleme der Bevölkerung – die Immobilienkrise und die Insolvenz mehrerer öffentlicher Dienste, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen – zu lösen, was zusammen mit mehreren Gerichtsverfahren und Ermittlungen wegen finanziellen Fehlverhaltens von Regierungsmitgliedern dazu führte, dass vorgezogene Wahlen ausgerufen wurden. Für die Linke sind das schwierige Wahlen, da angesichts des laut Umfragen zu verzeichnenden Vormarschs der extremen Rechten zu einer taktischen Wahl („nützliche Stimme“) zugunsten der Sozialistischen Partei aufgerufen wird. In den vergangenen Monaten haben wir eine Umstrukturierung der traditionellen Rechten beobachtet, bei der sich im Vorfeld der Wahlen eine Koalition um die stärkste Partei, die konservative PSD, gebildet hat. Aus dem linken Spektrum haben mehr als 150 Persönlichkeiten – ehemalige Regierungsmitglieder, Schriftsteller:innen, Musiker:innen, Journalist:innen, Herausgeber:innen, Ärzt:innn, Architekt:innen, Gewerkschafter:innen und Wissenschaftler:innen an Hochschulen – einen Aufruf an die Linksparteien gerichtet, „ihre Vorschläge zu unterbreiten und bekannt zu geben, welche Verpflichtungen sie zur Lösung der Probleme des Landes bereit sind einzugehen“.

Dies sind einige der Themen aus dem Gespräch mit Mariana Mortágua, die seit Mai 2023 Koordinatorin des Linksblocks, Bloco de Esquerda, ist.

Mariana Mortágua ist 37 Jahre alt, stammt aus Alvito im Bezirk Beja im Süden Portugals und ist Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie hat an der Universität London promoviert und lehrt zurzeit Makroökonomie und politische Ökonomie am ISCTE in Lissabon. Sie ist seit 2013 Abgeordnete, wurde dreimal wiedergewählt und machte sich durch ihre maßgebliche Mitwirkung in mehreren Untersuchungsausschüssen zu Finanzskandalen einen Namen. Sie wurde 2023 zur Koordinatorin des Bloco de Esquerda gewählt und führt dessen Wahllisten für die Parlamentswahlen vom 10. März 2024 an. In diesem Gespräch haben wir sie gebeten, den Linksblock und seine Positionen vorzustellen.

Am 10. März wird in Portugal ein neues Parlament gewählt. Warum und wie kam es dazu, dass eine Regierung, die bei den letzten Wahlen (im Januar 2021) die absolute Mehrheit errungen hatte, gestürzt wurde, so dass nun vorgezogene Wahlen angesetzt wurden?

Kurz gesagt: Wir dürfen nicht vergessen, dass im Jahr 2015 nach einer vier Jahre währenden rechten Regierung und einer Troika (EZB, IWF, Europäische Kommission), die ein rigoroses Sparprogramm durchgesetzt hat, ein Parlament mit einer aus der Sozialistischen Partei (PS), dem Bloco de Esquerda (BE) und der Kommunistischen Partei (PCP) bestehenden Mehrheit gewählt wurde. Obwohl diese Parteien noch nie zuvor in dieser Form zusammengearbeitet hatten, wurde eine schriftliche Vereinbarung zur Bildung einer neuen parlamentarischen Mehrheit unterzeichnet. Der BE und die PCP gehörten nicht der Regierung an und konnten sich dieser in allen Fragen widersetzen, in denen sie dies für richtig hielten. Es wurde jedoch eine Reihe gemeinsamer Ziele festgelegt: die Beendigung der Privatisierung, die Anhebung des Mindestlohns, die Abschaffung einer Reihe von Maßnahmen der Troika, insbesondere in Bezug auf die Arbeitszeit und andere soziale Rechte, die Senkung der Studiengebühren im öffentlichen Hochschulwesen sowie der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr, die Ausarbeitung von Gesetzen zu den Rechten von Frauen, der LGBTQI+-Community und Einwanderern sowie einige andere Themen. Diese wurden akzeptiert und verfolgt.

Trotz des Erfolgs dieser Strategie verfolgte die PS bei den folgenden Wahlen im Jahr 2019 eine absolute Mehrheit, um die linken Parteien an den Rand zu drängen und ihrem Druck zu entgehen. Das ist nicht gelungen. Trotz eines gewissen Rückgangs der Stimmen für die PCP behielt der Bloco de Esquerda die gleiche Anzahl von Abgeordneten (und etwa 10 % der Wählerstimmen). Nach diesem Rückschlag lehnte die Regierung von António Costa ein neues Übereinkommen ab, das zwangsläufig anspruchsvoller hätte sein müssen, um wichtige Probleme wie die Investitionen in das nationale Gesundheitswesen und die Arbeitsgesetzgebung zu lösen. Darauf folgte eine Zeit der Instabilität. Nach kurzer Zeit weigerte sich die Regierung, mit der Linken über den Staatshaushalt zu verhandeln, und der Haushalt wurde abgelehnt. Daraufhin wurden Neuwahlen angesetzt, die dann aus Angst vor einer neuen rechten Regierung in eine PS-Regierung mit absoluter Mehrheit mündeten. Dies war ein herber Rückschlag für die linken Parteien.

Damit begann das eigentliche Problem, denn eine so mächtige Regierung, die ausschließlich auf sich selbst angewiesen war, erwies sich als sehr instabil: Zahlreiche Minister und Staatssekretäre traten aus verschiedenen Gründen zurück, unter anderem aufgrund von Gerichtsverfahren und Ermittlungen wegen finanziellen Fehlverhaltens. Und schließlich trat auch noch der Premierminister zurück, als in seinem Büro ein Umschlag mit Bargeld gefunden wurde, bei dem es sich um eine Zahlung der angolanischen Behörden an seinen Stabschef handelte. Aus diesen Gründen gibt es Neuwahlen.

Ich muss betonen, dass diese politische Krise nur vor dem Hintergrund der katastrophalen Sozialpolitik der Regierung, insbesondere im Bereich des Wohnungs- und Gesundheitswesens, verständlich wird. Die neoliberale Politik hat zum Zerfall des staatlichen Gesundheitsdienstes geführt (an dem Wochenende, an dem wir dieses Gespräch geführt haben, musste man in den öffentlichen Krankenhäusern der Großstädte in der Regel zwanzig Stunden auf eine Versorgung in der Notaufnahme warten). Infolgedessen hat die Mobilisierung der Gesellschaft, insbesondere in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Wohnen, dazu geführt, dass Tausende von Menschen auf die Straße gegangen sind, um sich gegen die neoliberale Politik zu wehren.

Mit welchen Hauptproblemen sieht sich der Bloco de Esquerda bei den kommenden Wahlen konfrontiert?

Das politische Problem ist, dass die absolute Mehrheit der PS ein völliges Desaster war. Die Partei selbst hat das Problem kürzlich erkannt, da der Premierminister und Vorsitzende der PS abgelöst wurde und die Partei nun von einem anderen Parteimitglied angeführt wird. Wir wollen verhindern, dass eine erneute Ein-Parteien-Mehrheit eine neue Politik durchsetzt, die den Kurs in den Bereichen öffentliche Dienstleistungen, Investitionen, Wohlstand und Arbeitsbedingungen drastisch verändert.

Das ist das soziale Problem, das im Mittelpunkt unserer Kampagne steht: Wir wollen den neoliberalen Ansatz besiegen, der beispielsweise den Erfolg des Wohnungsmarktes gefördert hat, was uns die höchsten Preise in ganz Europa beschert hat – in Lissabon etwa ist die Miete für ein Haus höher als in Madrid oder Mailand. Wir wollen die Zahl der privaten Anbieter im Gesundheitswesen begrenzen und einen öffentlichen Gesundheitsdienst aufbauen, der die Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Leistungen versorgen kann und niemanden außen vor lässt. Wir werden für die Löhne und Renten kämpfen, um die Armut zu verringern und bessere Bedingungen für die Beschäftigten zu erzielen. In einem Land, in dem 40 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen sind, die nur in der Hälfte der Fälle durch Sozialleistungen gemildert wird, braucht es einen neuen Impuls für das Engagement und die Mobilisierung der Bevölkerung und um Lösungen für die Einkünfte von Erwerbstätigen und Rentenempfängern zu finden, um die Wohnungspreise zu senken und das öffentliche Bildungswesen, den öffentlichen Nahverkehr und die Kultur zu fördern sowie eine Energie- und Umweltwende durchzusetzen. Wir nennen das den Kampf für ein gutes Leben. Das bedeutet, dass wir den Kapitalismus und die Ungleichheiten, die er mit sich bringt, angreifen und eine sozialistische Alternative fördern müssen, die zu spürbaren Veränderungen im Leben unserer Mitmenschen führt.

Wie beurteilst du den Aufstieg der extremen Rechten?

Seit Trumps Sieg hat sich die internationale politische Landschaft für immer verändert. Und es gibt kein Zurück mehr. Die traditionelle Rechte wandelt sich zu einer extremen Rechten und greift die typischen Trumpschen Themen wie Einwanderung, Frauenrechte und sonstige Formen des Hasses auf. Dahinter steht eine neue Gruppe von Menschen, die sich sehr ähnlich sind: Trump, Bolsonaro, Milei, Meloni, Le Pen und andere sind Narren, deren politische Schachzüge auf der Tatsache beruhen, dass sie nicht in der Lage sind, die Probleme der Menschen zu lösen. Um die Aufmerksamkeit von diesem Umstand abzulenken, diskriminieren sie die Armen und Schwächsten. In Portugal geschieht dasselbe: Von einem System großer und kleiner rechter Parteien, die sich dem Diskurs der Europäischen Union (EU) mit all seiner Heuchelei angeschlossen und an diesem ausgerichtet haben, gehen wir zu einem System über, in dem die zweite rechte Partei, und zwar unweit der ersten, der extremen Rechten angehört. Dadurch verändern sich der Diskurs, die gesellschaftliche Wahrnehmung und die Auseinandersetzung mit dem gesunden Menschenverstand. Folglich muss sich die Linke mobilisieren, um die sozialen Rechte, die die Demokratie ausmachen, zu verteidigen und auszubauen, während diese Narren versuchen, sie abzubauen. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Das Wesen der Politik verändert sich, die Konflikte werden drastischer und dieser Trend wird den Schwerpunkt verlagern, die EU wird mehr Widerspruch erleben und der Kampf um die politische Vorherrschaft wird aggressiver werden.

Der derzeitige Vorsitzende der Sozialistischen Partei präsentiert sich als jemand, der bereit ist, Brücken zu den linken Parteien zu bauen. Er gehörte dem Verhandlungsteam an, das die Vereinbarung zwischen der PS und dem Bloco de Esquerda sowie mit der Kommunistischen Partei für den Zeitraum 2015 bis 2019 ausgehandelt hat. Was schlägt der Bloco de Esquerda vor diesem Hintergrund vor bzw. was ist er bereit zu unternehmen, um eine rechte Regierung zu verhindern?

Wir haben im Jahr 2015 eine Vereinbarung unterzeichnet, die das politische Leben in Portugal verändert hat und die, obwohl sie recht eingeschränkt war, auch respektiert wurde. Wie ich bereits erwähnt habe, hat die Sozialistische Partei dieses Bündnis im Jahr 2019 abgelehnt und das Desaster ausgelöst, das schließlich zum Zusammenbruch der Regierung geführt hat. Aber wir wissen natürlich, dass eine solche Mehrheit für die PS unerreichbar ist. Das bedeutet, dass die PS im Falle einer Mitte-Links-Mehrheit im Parlament gezwungen sein wird, sich den Linksparteien anzunähern, um eine Regierung der Rechten und der extremen Rechten mit all ihren „sozialen Revanchen“ zu vermeiden. Die Herausforderung besteht darin, eine wirksame Plattform für Maßnahmen in schwierigen Bereichen, wie dem Wohnungs- und Gesundheitswesen, zu schaffen. Für die Linke wird es schwierig werden, den Anstoß für Veränderungen zu geben.

Wir brauchen eine neue Mehrheit, und diese wird ohne den Bloco de Esquerda nicht möglich sein. Allerdings kann es sie nur geben, wenn wirksame politische Maßnahmen ergriffen werden, um die drastischen sozialen Probleme zu lösen, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind. Insbesondere diejenigen, die von der letzten PS-Regierung erzeugt oder verschärft wurden.

Und wie stehen die PS und die anderen Parteien zu diesem Thema?

Im Moment kündigt der neue Vorsitzende der PS an, dass er erst handeln wird, wenn er die neue Zusammensetzung des Parlaments kennt und dass er möglicherweise nach den Wahlen eine Plattform aushandeln wird. Das bedeutet, dass er es vermeiden würde, wenn er erneut eine absolute Mehrheit erlangen würde. Für Portugal wäre das äußerst schädlich, und es ist auch ziemlich unwahrscheinlich. Und die PCP sagt, dass sie keine Annäherung akzeptieren wird. Beide Antworten sind unbefriedigend und schaden dem Land. Wir hingegen werden nicht länger warten: Die Bürgerinnen und Bürger verdienen zu wissen, wofür sie stimmen, und fordern mutige politische Entscheidungen gegen die neoliberale Strategie. Deshalb setzen wir die Parteien unter Druck, damit sie nicht nur ihre Programme offenlegen, sondern auch mitteilen, ob sie bereit sind, über eine gemeinsame Politik in den wichtigsten Fragen zu verhandeln, oder ob sie ein solches Vorgehen ablehnen. Das wäre ziemlich unpopulär, aber die Forderung führt zu einer defensiven Haltung dieser Parteien. Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs haben in der Tat viele Menschen, Dutzende von Gewerkschafts- und Betriebsratsvorsitzenden, zwei Generäle, ein Bischof, mehrere namhafte Musiker- und Künstler:innen, Universitätsdirektor:innen und zwölf ehemalige Minister:innen und Staatssekretär:innen der Sozialistischen Partei einen Aufruf zur Gründung einer Plattform der linken Parteien veröffentlicht, um sofortige und konkrete Lösungen für die größten Probleme der Bevölkerung vorzuschlagen.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema Wohnen: Wenn wir den Markt in den Griff bekommen wollen, der die Preise in schwindelerregende Höhen getrieben hat, was sich negativ auf die Stadtviertel auswirkt, zur Vertreibung ehemaliger Bewohner:innen, zur Abwanderung junger Menschen in die Vororte und zum Verlust der kulturellen Bindungen führt, müssen wir mehr als 100 000 Wohnungen neu bauen und wieder aufbauen und dabei alle möglichen öffentlichen Ressourcen, wie alte Gebäude, Kasernen und andere Objekte nutzen, eine Obergrenze für die Mieten festlegen, den Verkauf an Investmentfonds und nicht-ansässige ausländische Personen verbieten und die unhaltbaren Steuervorteile für Spekulationsgeschäfte abschaffen.

Wir sind bereit, dies zu tun und diesen Kampf zu führen. Das ist der Kern unserer Kampagne, wir möchten den Menschen eine Garantie dafür geben, dass die Tausenden von Menschen, die für den Zugang zu Wohnraum demonstrieren, gewinnen werden, genau wie diejenigen, die für bessere Löhne, Renten oder soziale Rechte kämpfen. Dies ist das Herzstück der Demokratie, das Leben der Menschen muss Vorrang vor Profite und Mieteinnahmen haben. Das ist unser Ziel.

Andrea Peniche ist eine feministische Aktivistin und Mitglied des Kollektivs A Coletiva, das an der Organisation des Internationalen feministischen Streiks in Portugal beteiligt ist. Als Autorin und Co-Autorin schreibt sie häufig für verschiedene Publikationen über Feminismus und politische Philosophie.